Jobst Finke

Psychotherapie als Lebenskunst


Wien, 20. Mai 2000

Die hier gestellte Frage nach den Möglichkeiten eines ehrenwerten Lebens, die sich durchaus auf das Lebenspraktische einläßt und so auch die Pragmatik der Toilette nicht ausgeschlossen sehen will, ist letztlich die Frage nach dem gelungenen Leben.

Vielleicht möchte das hier zu ehrende Geburtstagskind, dass wir zusammen mit ihm Lebenskunst meditieren, über jene von den alten Griechen so ernst genommene Frage nach dem angemessen, nach dem erfüllten Leben. Vielleicht sollten wir uns dazu aufgefordert fühlen, in echt dialogischer Weise den Jubilar dabei zu begleiten, über das Gelungene und das Gelingende seines Lebens nachzudenken.

Ein zentraler Eckstein im Leben des Peter Schmid ist die Psychotherapie. Ist die leidenschaftliche Ausübung dieser Profession schon an sich ein Garant für ein gelungenes Leben?

Diese Frage soll hier, wenn auch mit aller Behutsamkeit bejaht werden. Zwar hören wir immer wieder davon, dass die Ausübung von Psychotherapie auch ein Joch sein kann, wir lesen von hilflosen und ausgebrannten Helfern. Jedoch sind diese Phänomene nur ein Hinweis darauf, dass jede Form der Lebenskunst auch ihre eigenen Gefahren des Scheitern in sich birgt.

Psychotherapie und Lebenskunst - zunächst ist es ja die Aufgabe des Therapeuten, anderen dabei zu helfen, ihr Leben gelingen zu lassen. Zwar wird gerade dieses zentrale Anliegen von den verschiedenen Psychotherapieschulen in ungenügender Weise wahrgenommen oder auch als solches gar nicht erst gesehen. Die Psychoanalyse beschränkt sich wesentlich auf die Dekonstruktion falscher Konzepte, falschen Selbstverstehens, sie sieht weniger ihre Aufgabe in der Konstruktion von Entwürfen und im Aufbau von Visionen, die ein gelungenes Leben ermöglichen. Die Verhaltenstherapie anderseits begnügt sich hier meist mit einer rationalistischen Pragmatik, die nur zu Konzepten führt, die im Vordergründigem verharren. In der personenzentrierten Psychotherapie ist immerhin die Frage nach der Möglichkeit des „guten Lebens“ von ihrem Gründervater thematisiert worden.

Gerade weil das Grundanliegen von Peter Schmid eine Dialogik ist, in der die Frage nach dem Wer-bin-ich und nach dem Was-will-ich immer wieder sowohl konfrontierend sowie auch konsensuell ausgehandelt wird, kann eine solche Begegnung von Person zu Person auch die Fähigkeit zur konstruktiven Gestaltung des eigenen Lebens vermitteln.

Selbstverständlich kann es dabei nicht darum gehen, dass der Therapeut Vorschläge für eine gute Lebensgestaltung macht, das wäre in der Tat das Gegenteil von personzentriert. Aber er kann mit seinem Klienten die Bedingungen der Möglichkeit erarbeiten, auf deren Hintergrund so etwas wie eine freie und kritische Wahl für einen bestimmten Lebensentwurf stattfinden kann.

Und wie steht es um die Möglichkeit eines „ehrenwerten“ Lebens beim Therapeuten selber? Eine erschöpfende Antwort auf diese Frage müssen viele Bereiche abmessen. Hier sei nur die Möglichkeit des Therapeuten angedeutet, in der Auseinandersetzung mit dem Lebensentwürfen seiner Klienten, dem Fehlgeschlagenen ebenso wie die Neuzugewinnenden, auch sich selbst immer wieder neu kennen zu lernen. In der therapeutischen Begegnung, auch das hat Peter Schmid gelegentlich gesagt, begegnet der Therapeut auch sich selbst. Im Abwägen und dialogischen Begleiten von Lebensstilen und Lebensplänen seiner Klienten ist er auch immer mit seinem eigenen Leben konfrontiert. Solche Konfrontation kann verunsichern, sie kann aber gerade deswegen die Antwort auf die Frage nach einem ehren- und lebenswerten Leben immer wieder vervollständigen.

Der Jubilar hat uns in der Fülle seiner Publikationen oft gezeigt, dass er trotz aller Antworten, die er hier schon erarbeitet hat, immer noch unterwegs ist, in seinem Fragen nicht zum Stillstand gekommen ist. Gerade damit erfüllt er auch Rogers Vision von einem „guten Leben“, ein Leben das in diesem guten Sinn sich als ein ewiges Werden versteht.

Wir wünschen Peter Schmid, dass ihm auch weiterhin dieses fragende Unterwegssein gelinge, und wir wünschen uns, dass wir auch weiterhin immer wieder uns im Dialog mit ihm über die Antworten, die er dabei findet, streiten können. Genau dieses aber, dieses Unterwegssein im Dialog, dieses Sich-Selbst-Entwerfen, im ständig korrigierenden Spiegel des Gespräches mit wichtigen Anderen, ist wohl die eigentliche Lebenskunst. Hier zeigt sich die Fähigkeit, die Möglichkeiten eines gelungenen Lebens auszuschöpfen.

Aber vollendete Lebenskunst zeigt sich gerade da, wo sie nicht nur im Grundsätzlichem des Entwurfes und im Imaginären der Vision verharrt, sondern wo sie sich im Konkreten verankern kann. Dieser Durst nach Wirklichkeit ist bei Peter Schmid nicht  nur an der im Leitspruch dieser Begegnung gestellten Frage nach dem Clopapier abzulesen, sondern vor allem auch daran, dass wir hier zusammenkommen durften, von Peter Schmid zu einem Fest des Dialogs gerufen, um auf diesem Symposium, diesem Liebesmahl, Anteil zu haben an seiner Fähigkeit zur Lebenskunst. Denn diese wunderbare Feier, die Initiative dazu wie ihre Inszenierung, ist unmittelbarer Ausdruck eines kunstvoll gestalteten Lebens. So verbindet uns dieser Augenblick mit dem zu Beglückwünschenden durch ein Gefühl der Freude und Dankbarkeit.

Dr. Jobst Finke ist Oberarzt an der Universitätsklinik für Psychiatrie in Essen und einer der prominentesten Vertreter der Klientenzentrierten Psychotherapie in Deutschland, zahlreiche Veröffentlichungen zur Psychotherapie mit schwer beeinträchtigen Personen und zu schulenübergreifenden Themen.

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