Harald
Picker |
Meine sehr geehrten Damen und
Herren,
verehrtes Auditorium,
werte Teilnehmer am
diesjährigen Internationalen Peter F. Schmid - Symposium
!
Da ich mit der Straßenbahn hierher gekommen bin, kann ich leider nicht den von Psychoanalytikern auf Symposien als Einleitung zu ihrem Vortrag gern angewandten Satz verwenden: „ Als ich mit dem Taxi hierher gefahren bin, sagte der Taxifahrer zu mir ...usw., usf. ..."
Ich habe mir zwar überlegt, ob ich stattdessen, um diesen Brauch aufrecht zu erhalten, mit dem Straßenbahnfahrer philosophieren sollte, daran aber hinderten mich die Bestimmungen der Verkehrsbetriebe, die eindeutig solches untersagen. Es war auch kein Zeitungsverkäufer anzutreffen, der sogar unserem Thema betreffend des papyrus loci rein von seiner beruflichen Materie her nähergestanden wäre, so habe ich mich also entschlossen, mich zu bescheiden und sogleich aus dem Vollen, aus mir selber also, zu schöpfen.
Sie wissen vielleicht, dass ich mich bis zu meiner Emeritierung beim Magistrat der Stadt Wien intensiv mit der Erforschung des Briefwechsels von Sigmund Freud mit nicht der Psychoanalyse zurechenbaren Personen beschäftigt habe - ein übrigens bislang arg vernachlässigtes Gebiet der Freud-Forschung. Es wäre ein eigenes Symposium wert, die Gründe für dieses Desinteresse der Wissenschaft zu ergründen. Gleichviel - aufgrund meiner quellenkundlichen Nachschau in Stiftsbibliotheken, die ja von Analytikern nicht sonderlich häufig frequentiert werden, fand ich - da sich in besagtem Stift auch eine Kuranstalt befand - einen Brief Sigmund Freuds an den damals, 1931, schon bekannten Kurarzt Dr. F. X. Mayr, den ich Ihnen nunmehr auszugsweise vortragen will (den ungekürzten Text habe ich in der Zeitschrift „Psyche" 1998, Heft 1 veröffentlicht).
Freud schreibt also an Dr. F.X.
Mayr: „Lieber, sehr verehrter
Kollege Dr. Mayr ! Halten Sie mich bitte nicht für einen allzu aufdringlichen
Fragensteller, wenn ich Sie im
Interesse der Psychologie mit meinem Schreiben incommodiere. Ich habe mit großem Interesse Ihr Hauptwerk:
"Die verhängnisvolle Frage"
mit dem Untertitel „Der Tod sitzt im Darm" studiert und ihre Anweisungen, alte Semmeln mit Milch
vermengt nach eindringlichem Kauvorgange der Verdauung zuzuführen, mit Interesse
im Selbstversuche auch befolgt. Sie fordern in Ihrem Buch den Probanden ausdrücklich dazu auf, den
Erfolg dieser Maßnahme daran zu messen, „... dass nach dem Stuhlgange
bereits das erste Blatt Papier
trocken in die Stuhlpfanne hinabschwebe". Ich darf als Ihr gehorsamer Leser mit einem
gewissermaßen kindlich anmutenden Stolz mitteilen, dass mir dieses auch wohl
gelungen ist.
Wie Sie als gelegentlicher Gast unserer Mittwoch-Sitzungen in
der Berggasse wissen, ist es
mir eigen, nach dem emotionalen Hintergrunde eines solchen Stolzes im
Unbewussten zu suchen. Mich
der Entspannung auf der Couch hingebend erinnerte ich mich des großen Stolzes, den ich empfand, als meine
Frau Mutter dem gestrengen
Herrn Vater mitteilte:" Sigi hat heute gar nicht geweint, als ich ihm sein Offiziersstöcklein aus der Hand
nahm!"
Lieber Dr. Mayr, Sie verstehen natürlich die Bedeutung dieses
Stöckleins und der Assoziation aufs Trefflichste: Der Verlust der Kotstange löst
auch im differenzierten Menschenkind die schrecklichste Kastrationsangst aus und
tiefe Trauer. Ist es doch der symbolische Penis, der da - symbolisiert durch die
abfallende Kotstange - verloren geht, und beweint wird. Ich will mich kurz halten, nicht ausschweifend
sein - sie sehen an dieser Wortwahl, wie sehr mich das Thema der Kastration
verfolgt - meine Entdeckung
ist diese: Das Toilettenpapier ist - psychologisch gesehen - ein Tränentüchlein ..."
P. S.: Warum
kürzen Sie Ihren Namen mit F. X. ab ? Hat dies auch eine in diesem Zusammenhang zu sehende
Bedeutung?..."
Wie Sie aus dieser Anfrage Freuds an F. X. Mayr unschwer ersehen können, hat Freud die tiefen spirituellen Bedeutungen des papyrus loci bereits sehr früh erkannt.
Einige Briefe müssen verlorengegangen sein, die Diskussion hat sich aber zweifellos bis 1933 hingezogen. Ein vom 2. 6. 1933 datierter Brief von F. X. Mayr an S. Freud ist jedoch erhalten. Mayr schreibt da bereits etwas abwehrend:
„...würde ich Ihnen, verehrter Professor Freud doch auch sehr empfehlen mit dem katholischen Pfarrer Sebastian Kneipp eine Korrespondenz aufzunehmen, da dieser in der Naturheilkunde als auch in der Theologie wohl fundiert zu sein scheint. Darm, Verdauung und Entleerung derselben sind ja doch im gemeinen Volke von nicht geringer moralischer Bezüglichkeit ... Kneipp lebt in Bayern und ist sicher recht umgänglich zu Ihnen."
Zu unserer Überraschung geht Freud tatsächlich auf diesen Vorschlag ein und es findet sich ein Teil dieser Korrespondenz in der Apotheke zu Wörishofen. Kneipp dürfte sich anfänglich mit den komplizierten Fragestellungen Freuds nicht leicht getan haben. Ein kleiner Ausschnitt aus der Korrespondenz zeigt dies recht deutlich.
Freud: "... so wälze ich mich öfters des Nachts, voller Unruhe in der Fragestellung nach dem Sinn der Kotungszeremonie ..."
worauf am 4.7.1933 ein sichtlich ärgerlicher Pfarrer Kneipp kurz und bündig antwortet:
„Verehrtester Herr Professor Freud! Ich bin zwar nur ein kleiner Landpfarrer, aber beim Naturheilen kenn ich mich aus. Wenn S' Schlafstörungen haben, so empfehl ich Ihnen einen eiskalten Wasserguss aufn Arsch. Sie können das meinetwegen einen Kalt-Analguss nennen. Mir soll´s recht sein!"
Die Korrespondenz scheint damit eine zumindest zeitweilige Unterbrechung erfahren zu haben, denn erst ein halbes Jahr später finden wir einen weiteren Briefwechsel zwischen Freud und Sebastian Kneipp, der zu dieser Zeit bereits Prälat war:
„...ersuche ich Sie, verehrter Herr
Prälat, der ich Sie nur wegen unseres unterschiedlichen Glaubensbekenntnisses
nicht 'Hochwürden' nenne, der Sie aber meiner ungeteilten Hochachtung und
Wertschätzung gewiss sein dürfen, mir mitzuteilen, ob es den Glaubensgütern Ihrer Kirche zugehörig ist,
dass Personen des geistlichen Standes
weniger Exkremente abgeben, als gewöhnliche Gläubige. Der Hintergrund meiner Fragestellung
bezieht sich darauf, dass Anna U., eine meiner Patientinnen, als Kind eine
Klosterschule besuchte und in einer
Pause den Katecheten die Toilette betreten sah. Als sie daraufhin verwirrt die Schwester
fragte, ob denn der Herr Katechet
auch 'müsse', antwortete die Schwester ihrerseits verwirrt und verlegen: 'Ei, wohl nur ein klein
wenig'."
Ich hoffe, verehrter Herr
Prälat, von Ihnen eine verlässliche theologische Antwort erhalten zu können und
verbleibe mit der Ihnen gewiss
zustehenden Hochachtung. Ihr Sigmund Freud"
Sebastian Kneipp antwortet darauf in gewohnter kurzbündiger bayrischer Diktion:
„Lieber Professor Freud!
Das ist
keine theologische Frage, sondern eine
ganz logische: Wann der Katechet net
scheißt, kummt's ihm bei der Goschn auße, und dann krepiert er... Machn S' ihrer
Anna U. an Wadlguss, dann wird s' auf
andere Gedanken kommen!"
Eine weitere Korrespondenz ist nicht verbürgt, Freud scheint in Prälat Kneipp keinen kongenialen Partner gefunden zu haben, der ihm bei der schwierigen Frage der Beziehung zwischen Theologie und Psychoanalyse behilflich hätte sein können.
Man muss natürlich von der Tatsache ausgehen, daß Freud zur Theologie lediglich eine beobachtend-interpretierende Haltung einnahm, und es auch in umgekehrter Richtung wenig Sympathiebezeugungen der Theologen für Freud gab. Umso sensationeller darf mein Fund einer Korrespondenz zwischen Freud und einem Anonymus aus dem Bereich des Vatikans gelten, der unter dem Pseudonym „Pater Aloisius" seine Briefe zeichnete. Dieser, von Glaubenszweifeln geplagte Mensch wandte sich an Freud mit der Bitte um dringende Hilfe bei der Bewältigung seiner Neurose. Er verspürte nämlich immer, wenn er im Petersdom im dichten Gedränge der Gläubigen stand, das Bedürfnis aufsteigen, die Worte „Scheißdreck" und „Alles Scheißer" in Gebetstexte einzuschmuggeln und hielt sich daher für „besessen". Dieses Symptom stand in Zusammenhang mit der Vorstellung, dass ja jeder der im Petersdom Anwesenden die Inhalte seiner Verdauung mit sich trug, und daher - aus physikalisch-biologischer Sicht - tonnenweise Exkremente im Dom zu St. Peter in den Körpern der Gläubigen ruhten.
Freud schrieb an den Unglücklichen die tröstenden Worte:
„Lieber junger namenloser Freund, gerne
will ich Sie, ihrem Wunsche entsprechend, zukünftig Pater Aloisius
nennen! Meine Krankheit und
wohl auch zeitliche Not hindern mich daran, Sie am Orte Ihres Unglücks
aufzusuchen und zu analysieren. Lassen Sie mich aber dennoch den einen oder den
anderen trostreichen Gedanken, der Ihnen als Theologe nicht fremd sein kann, in
Ihr Weltbild pflanzen.
Sie teilten mir mit, Sie hätten noch bei
Teilhard de Chardin studiert und
dessen Evolutionstheologie gehört. Nun, ich habe mich, um Ihren Fall besser einfühlen zu können, ebenfalls
kundig gemacht und einige Schriften und Thesen dazu überflogen. Demnach, guter Pater, entwickelt sich
doch die ganze Schöpfung hin auf den Punkt Omega, der in Ihrer Theologie 'Gott'
genannt werden darf. Ich will es - um
mich nicht der ungewollten Blasphemie
schuldig zu machen - nur andeuten: Alles, alles, aber wirklich alles, auch das von Ihnen als im
Petersdom befindlich Erkannte, alles
das ist doch Teil dieser evolutiven Schöpfung, an die Sie, Pater Aloisius, glauben.
Sehen Sie
es vielleicht so: Das von Ihnen so
sehr verachtete Exkrement ist in Entwicklung begriffen - hin zur Vollendung. Ich
assoziiere dazu durchaus den Buchtitel des katholischen Autors Bruce Marshall, nämlich: „Alle Herrlichkeit ist INNERLICH" Das Innerliche
des Menschen aber ist das von Ihnen
mit Ekel Behaftete. Vielleicht haben Sie meine Schriften gelegentlich auch
rezipiert, in denen ich den Ekel als Abwehr von Wünschen erkenne. Ihr Symptom
zeigt mir nicht Besessenheit, sondern
den unbewussten Wunsch nach Herrlichkeit, der aus Schuldbewusstheit abgewehrt wird.
Denken Sie auch an den von mir andernorts
beschriebenen Franz von Assisi. Er
würde wohl an Ihrer Stelle im Dom zu St. Peter ein exkrementes Lob anstimmen - für sich zwar und
leise -, um andere Betende nicht zu erschrecken: ´Sei gegrüßt, Bruder Kot!´
Ich würde Ihnen aber abraten,
Versuche zu unternehmen, dieses kleine Stoßgebetlein in die offizielle Liturgie - als Hymnus etwa -
aufzunehmen. Haben Sie Geduld mit den
Menschen und ihrer Innerlichkeit! Manches darf uns nicht bewusst werden,
vielleicht sind Sie ein Erwählter ..."
Leider hat sich Freud zu dieser Schrift nicht bekannt; das Dokument hiezu ist aber im Geheimarchiv des Vatikans einzusehen. Freud hat diese seelsorgliche Episode seines Lebens vermutlich verschwiegen, da er fürchtete, sie könnte seinem wissenschaftlichen Rufe abträglich sein.
Nun, wir haben schon eingangs erwähnt, dass Freud bereits in den frühen dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts den Zusammenhang zwischen Stuhlabsetzung und Trennungsangst erkannt hatte. Ergänzend dazu darf vielleicht noch ein Teil des Briefwechsels zwischen Freud und Fliess zitiert werden, der sich haarscharf mit diesem Problem befasst:
Fliess an Freud: „Lieber Professor - ich hoffe, ich darf Sie aus dem Grunde der Freundlichkeit, die Sie mir immer erwiesen haben, so ungebührlich ansprechen -, seit einigen Tagen schon frage ich mich ernsthaft, warum ich vor dem Gange zum Abort förmlich voller Anspannung und Nervosität, die nicht lediglich aus der Dringlichkeit des Weges zum angestrebten Entlastungsvorgange erklärbar ist - warum ich also zwanghaft nach Lektüre suche, die ich in die Abgeschlossenheit der engen Räumlichkeit mitzunehmen stets unzweifelhaft entschlossen bin. Ich darf hinzufügen, es ist mir auffällig geworden, dass mich der Inhalt der Texturen wenig bis überhaupt nicht interessiert, ja, dass es mir völlig gleichgültig ist, ob es sich um Seiten eines Telefonverzeichnisses handelt, den Duden oder eine alte Tageszeitung - auch die Bibel habe ich bereits mit hineingenommen. Der lange und ungläubige Blick meiner Frau, als sie mich mit der Bibel in Händen aus dem Aborte treten sah - hat mich zu Scham und Reflexion getrieben - und das ist wohl der Grund des Überwindens des Widerstandes, Ihnen dieses Geständnis zu unterbreiten ..."
Wie wir aus dem Datum der Rückantwort erschließen können, hat Freud sehr rasch und emotional betroffen reagiert. Er schreibt - schon am nächsten Tag:
„Mein lieber Fliess ! Ihr Schreiben von gestern hat mich sehr betroffen
gemacht, da ich - ich muss es Ihnen aus dem Grunde der Redlichkeit der
Wissenschaft gestehen - Ihr wertes Schreiben in der von Ihnen zitierten Örtlichkeit studiert habe und
mich sehr ertappt und entblößt
fühlte. Es war mir, als würden gleichsam Ihre Augen aus dem Briefpapier anklagend auf meine, der eben
vorzunehmenden Handlung entsprechenden, teilweise entblößte Nacktheit
blicken.
Ich bitte Sie - geben Sie mir einige Tage Bedenkzeit und die
Möglichkeit einiger Träume, die mit Gewissheit ihren Beitrag zur
Erhellung des Sachverhaltes beitragen
werden"
Freud teilte später einmal mit, es wäre ihm spontan dazu die Assoziation an den Kindervers gekommen: "Gottes Aug ist überall - drum stiehl mir nicht mein Lineal !" - was in ihm die Gewissheit aufkommen habe lassen, dass es sich (Stichwort ´Lineal´) um die Kastrationsangst handeln müsse, die abgewehrt würde. Er schreibt tatsächlich einige Tage später an Fliess:
„... Bezüglich Ihres, meiner Beantwortung
noch bislang harrenden Schreibens kann ich Ihnen meine Deutung nunmehr
mitteilen:
Der Vorgang des Abkotens ist zweifellos von unbewussten
Verlustängsten geprägt und löst jene Paniken aus, die dazu geführt haben mögen,
dass die im christlichen Abendlande üblichen Toiletteschalen so konstruiert sind, dass sie dem Verlustträger
noch einen Abschiedsblick ermöglichen. Wahrscheinlich hängt dies mit der
christlichen Sexualmoral zusammen, die ja bekanntlich einen Grund für
Kastrationsängste darstellt.
Warum also liest der von
christlich-abendländischer Kultur geprägte Mensch am Aborte? Es geschieht einzig
aus dem Grunde, den phantasierten Penisverlust durch Aufnahme von Lesematerial
über den Lesevorgang auszugleichen. Es ist die Homöostase, die erhalten werden muss. Es bleibt noch zu
ergründen, wie nun die
internalisierten Buchstaben, Ziffern und Wörter zu einem neuen unbewussten Penis
gefügt werden, ich denke daran, diese Frage Theodor Reich zur Bearbeitung
vorzulegen...
An Sie aber, lieber
Fliess, richte ich die Frage, ob Ihrer Kenntnis nach die Menschen auch beim
Urinieren das Bedürfnis nach Literatur verspüren. Wahrscheinlich ist dem nicht
so, da ja beim Vorgang des Urinierens im allgemeinen der Penis sichtbar bleibt
und sein Vorhandenbleiben gesichert erscheint.
Wie ist das aber beim Weibe,
lieber Fliess ...? Haben Sie Gedanken dazu ?..."
Es würde am eigentlichen Thema, welches wir auf diesem Symposium zu bearbeiten haben, vorbeiführen, die weitere Entwicklung dieser Korrespondenz zu verfolgen.
Interessant dazu aber ist ein Teil des Briefwechsels zwischen Freud und Pater Alois, als dieser sich mit der Symptomatik zwanghafter Schuldgefühle an Freud wendet:
„Verehrter Doktor Freud! Meiner Seelenqual setzt ein weiteres noch hinzu: Wenn ich nämlich zum Abschlusse des Exkrementierens nach dem Toilettenpapiere greife, um mich zu reinigen, so blickt mir dessen weißes unbeflecktes Antlitz unschuldig und vertrauensvoll - wie mir scheint- entgegen, - wo ich doch drauf und dran bin, es mit meinem Schmutze zu schänden. Bedrucktes Papier zu verwenden, verbietet die Hygiene, abgesehen davon, dass die mir zur Verfügung stehenden Altpapiere doch vorwiegend aus theologischen Zeitschriften stammen. Sie sehen mich also hilflos dem Schuldzwange ausgeliefert..."
Dass Sigmund Freud nicht nur ein begnadeter Psychologe, sondern auch Seelenführer war, erkennen wir aus der Antwort, die er Aloisius zukommen ließ:
„ Seien Sie unbesorgt, lieber Pater, die Unschuld, die Sie dem weißen Papier zusprechen, ist ja in Wahrheit nicht dem Papier eigen - dieses steht symbolisch für die Unschuld Ihrer Frau Mutter, die Sie niemals mit Triebansprüchen beschmutzen wollten."
Wir haben glücklicherweise noch ein spätes Schreiben jenes "Pater Aloisius", den wir ja bereits kennen, zur Verfügung, welches uns sehr zentral zum Thema des „papyrus loci" zurückzuführen vermag. Er schreibt an Freud jenen berühmten Abschiedsbrief mit der Überschrift „in exspectu aeternitatis", ein Schreiben, welches ich zwar zweifelsfrei als echt belegen könnte, aber daran durch Intrigen innerhalb der Psychoanalytischen Gesellschaften dauerhaft gehindert werde.
Er schreibt also:
„Verehrter und lieber Professor Freud! In exspectu aeternitatis, am Rande des Grabes stehend, wende ich mich noch ein letztes Mal an Sie. Dauerhafte Darmverschlingungen haben mich geschwächt und fast alles Lebendigen entbunden. Doch möchte ich nicht vor meinen Schöpfer treten, ohne Ihnen, der Sie mit Recht den Namen FREUD tragen, zu danken. Sie haben durch Ihre verständnisvolle Deutung mein krankes Gedärm nicht einer plumpen Heilung teilhaftig werden lassen - es ist ja krank und hinfällig geworden -, vielmehr haben Sie dessen Heiligung bewirkt. In Hinblick auf Ihre Assoziation zu Franz von Assisi habe ich mich um einen Franziskaner als Beichtvater bemüht und auch einen solchen gefunden. Er hat nach einigem Bedenken Ihre Ansicht der spirituellen Evolution des Darminhaltes im Hinblick sowohl auf die Franziskanische Tradition des Umgangs mit Materie als auch hinsichtlich der Theologie Teilhard de Chardins bestätigt und dabei ist auch bei ihm Fröhlichkeit und Hoffnung aufgekommen. Möge mich mein krankes Gedärm durch Verwickeln und Stopfungen auch derzeit quälen - ich bin dazu gekommen, selbst im Dom zu St. Peter, wenn es denn sein sollte, darüber zu predigen. Denn sowohl mir als auch meinem Gedärm samt seinem peinlichen Inhalte ist die Verklärung angesichts der Ewigkeit gewiss. Möge Ihnen der Allmächtige danken, was sie für mich und die Heilige Theologie getan - ich ziehe mich nunmehr aus diesem erdigen Dasein zurück, Gott segne Sie!"
Freud hat Pater Aloisius noch einmal geantwortet:
„Lieber, geduldiger Pater! Sie sehen mich beschämt durch Ihr Lob, welches in mir einen ganz und gar unwürdigen Adressaten findet. Im Gegenteil, ich habe Ihnen gegenüber Dankespflichten! Das Heilige gründet sich wohl auf dem Profanen - das habe ich zur Genüge wissenschaftlich begründet. Dass das Ordinäre auf dem Wege zu einer höheren Herrlichkeit sei - diesem Gedankengange kann ich mich aus dem Grunde unserer gemeinsamen Korrespondenz immer weniger verschließen. Ich bin Ihnen dafür den Dank schuldig !
Sie wissen, lieber Aloisius, ich bin den Religionen bislang mit der Skepsis des Wissenschafters begegnet. Aber im Hinblick darauf, dass selbst Ihr Gedärm samt seinem Inhalte die Bedingungen der Möglichkeit erfüllt, sich hin zu einer spirituellen Herrlichkeit zu evoluieren, erfüllt mich die Hoffnung, dass auch meiner Psychoanalyse diese Entwicklung bevorsteht. Ich kann allerdings nicht verhehlen, dass so mancher meiner Schüler.........."
Leider ist das Fortsetzungsblatt dieses Schreibens verschollen.
Sehr verehrte Damen und Herren, Professorinnen und Professoren, Vertreter der Kirchen und der Psychologie! Sie sehen, wie fruchtbar die Gespräche - vielleicht etwas holprig, was den Pfarrer Kneipp betrifft - zwischen der Psychoanalyse und der Theologie sein könnten - und, wo solche geführt werden, auch sind. Freud und Pater Aloisius haben die Antwort auf die wohl etwas einfältige Fragestellung des Woody Allen, nämlich, ob es denn im Jenseits genügend Klopapier gäbe, in höchst geistreicher Weise bereits vor mehr als 60 Jahren einer Klärung zugeführt: Eines ´papyrus loci in aeternitate´ bedarf es nicht!
Ich habe Herrn Woody Allen in diesem Sinne auch Aufklärung zukommen lassen.
Ihnen aber, verehrte Hörer, sei Ihr hoffentlich täglich stattfindender Gang ins profane Kabinett stets Anlass zu spiritueller Reflexion!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Harald Picker ist Psychoanalytiker in freier Praxis, hauptsächlich in der Sozialtherapie tätig, Gründer des Wiener Psychoanalytischen Seminars, Seminarleiter in verschiedenen Weiterbildungen.