Veronika Prüller–Jagenteufl Sub specie aeternitatis: Ist es ehrenwert, über Seelsorge zu schreiben? Wien, 20. Mai 2000 |
Ich werde mich zunächst assoziativ dem Begriff der Ehre nähern, möchte dann ein paar Gedanken zum Schreiben über Seelsorge äußern, um dann – darauf verweist der Titel, den Sie im Programm haben – bei Peters Diakonia-Oeuvre nachschauen, wie das gehen kann, ehrenvoll über Seelsorge zu schreiben. Und letztendlich werden wir vor der Frage stehen, ob Geschriebenes in Ewigkeit bestand haben wird ...
Alle, alle sind sie ehrenwert – Brutus und die übrigen. Ehrenwerte Männer – so meine erste Assoziation – sind die Ehre nicht immer wert. Und: wenn einer gerühmt wird, so sollte man auch zwischen den Zeilen lesen.
Ehre, wem Ehre gebührt – aber wem gebührt sie? Als Theologin fällt mir ein, dass es in so mancher liturgischen Formulierung heißt: zur Ehre Gottes – Gott in der Höh' sei Preis und Ehr; ... Gott also sei Ehre – für die Menschen ist eher der Friede oder das Heil da. Die Ehre gebührt Gott allein. Vielleicht sind manche ehrenwerten Männer deswegen suspekt, weil sie allzu leicht in eine Position geraten, die ihnen weder zu- noch bekömmlich ist?
Ich will dich lieben, achten und ehren, solange ich lebe. So etwas hab ich meinem Mann versprochen. Hab ich ihn und mich nun da in was hineingeredet, wenn die Ehre allein Gott zukommt (was – im doppelten Sinn der Formulierung – kein Mann ist)? Aber er (mein Mann) hat mich beruhigend humanistisch aufgeklärt: Zwischen der Gloria, die nur Gott gebührt, und der Honor, die wir Menschen einander erwiesen sollen, ist eben genau zu unterscheiden.
Ein ehrenwertes Leben, ein ehrenwertes Tun – so ein erstes Ergebnis – ist in diesem Sinn also wohl eines, das dem Schöpfer und anderen Ehre erweist, die Ehre gibt, die dann auf es selbst zurückfällt.
Und wenn nun heute nicht der Dolch, sondern die Feder bzw. der Finger über dem Computer-Keybord geschwungen wird, dann steht auch heute wiederum die Ehre auf dem Spiel. – Und so kommen wir zu
Kann es also ehrenwert sein, über Seelsorge zu schreiben? Seelsorge, so schreibt Peter F. Schmid in Diakonia 1/2000, ist einander gebotene Hilfe beim Christsein bzw. beim Aufbau des Reiches Gottes. Vielleicht könnte man auch sagen: Seelsorge ist eine der Handlungsformen, in denen es ganz zentral darum geht, anderen und Gott die ihnen jeweils zukommende Ehre zu erweisen. So weit so gut. Aber welche Ehre kann es bedeuten, darüber zu schreiben? Gewiss, es kann Anerkennung bringen und Ruhm und Aufnahme unter die ehrenwerten Männer im Dozenten- oder Professorenstand der Praktischen Theologie. Wer aber deswegen oder nur für das Staunen der sogenannten scientific community schreibt, wird dabei wohl kaum in den Strom der Ehre geraten, die eben zuerst gegeben wird, bevor sie zurückkehren kann.
Ich will also nicht verhehlen, dass auch wir TheologInnen zuweilen einiges bedrucktes Papier hervorbringen, das vielleicht adäquater blattweise und in kleinen Räumen zu verwenden wäre, als dass es sich lohnen würde, es ins Regal großer Lesesäle zu stellen. Wenn wenigstens die Papierqualität stimmen würde (Saugkraft etc.) könnte also auch einiges aus theologischen Bibliotheken Woody Allen bis in alle Ewigkeit aushelfen.
Die Werke Praktischer TheologInnen haben es da besonders schwer: Sie müssen nicht nur gescheit sein und wissenschaftlich genug, sie müssen auch ihre Herkunft aus echten Erfahrungen und ihre Relevanz für konkretes Tun unter Beweis stellen, wenn sie nicht auf dem Abtritt landen, sondern bleibenden Ehrenwert erhalten wollen. Praktische Theologie steht immer unter dem Verdikt, über etwas zu räsonieren, was zu tun wohl doch das ehrenwertere ist.
So hat es sich Praktische Theologie wenigstens zur Aufgabe gemacht, alle theologischen Disziplinen daran zu gemahnen, dass erster und eigentlicher Ort der Theologie die Praxis ist (wie Peter in Diakonia 2/98 titelt). Vielleicht kommt die Frage nach der Konsistenz und Saugkraft theologisch beschriebenen Papiers vor allem dann auf, wenn eben die Praxis im Schrieben nicht mehr vorkommt, nicht mehr sichtbar wird, wenn in den Buchstaben kein Leben mehr steckt. Ina Praetorius, feministische Theologin aus der Schweiz, meinte einmal: eigentlich müsste es ihren Texten anzumerken sein, dass sie das Schreiben unterbrochen hat, um ihr Kind zu versorgen, eine Maschine mit Wäsche zu füllen, einer Freundin am Telefon Trost zu zusprechen, die Weltnachrichten zu hören etc. Hat die Schwierigkeit, Praxis als Ort der Theologie ernst zu nehmen also damit zu tun, dass schriftliche Theologieproduktion von konkreter Alltagsbewältigung wenig spüren lässt? Vielleicht auch nur damit, dass ehrenwerte Professoren mit dieser immer noch eher wenig zu tun haben?
Weisen, wie sie Theorie und Praxis, Seelsorge und das Schreiben darüber miteinander verbinden, finden sich so viele wie TheologInnen, die sich dieser Anforderung stellen. In der Redaktion von Diakonia sind mir drei Typen aufgefallen:
Typ 1: einer, der gerne und mit Überzeugung Pfarrer ist, dabei theologisch versiert, sogar noch Fachliteratur liest und gelegentlich auch niederschreibt, was er erlebt und sich dazu denkt.
Typ 2: solche, die gerne den Pfarrberuf ausüben würden, aber als Laie und erst recht Frau daran gehindert werden und als zweitliebste Alternative Professor und Professorin für Pastoraltheologie geworden sind. Sie schreiben unter anderem für Pfarrer und andere darüber, was Seelsorge heute sein könnte.
Typ 3: diejenigen, die zwischen verschiedenen Lebensbereichen vagabundieren – Beziehung, Schreibtisch, Familie, Universität, Bühne, Urlaubsreise, Encounter-Gruppe, Freundeskreis, Rednerpult, ... – und darüber schreiben, was ihnen dabei unterkommt, zu denken gibt und leben hilft – und dabei auch noch versuchen, sinnvolle Bezüge zu Seelsorge und kirchlicher Praxis herzustellen.
Wo Peter zuzuordnen ist und welcher Typ ehrenwert erscheint, überlasse ich Ihrem Urteil – nur eine Warnung: konkrete Personen gehören in einer Typologie immer überallhin.
Ich habe nun in den Artikeln, die Peter in Diakonia veröffentlicht hat, nachgeschaut, ob wir vielleicht von ihm etwas lernen können für die Frage nach der Kunst und der Ehre des Schreibens über Seelsorge.
Von Gurus, Engeln und neuen Mannsbildern, Gruppe und Dialog – so lässt sich in etwa Peters Schreiben in Diakonia, das übrigens mindestens 19 größere Beiträge umfasst (die Hommage an Helmut Erharter nicht mitgerechnet), zusammenfassend übertiteln.
Es beginnt 1987 mit einem Beitrag über den Seelsorger als Künstler. Kunst und Glaube, heißt es da, haben vieles gemeinsam: beide entwickeln eine besondere Sensibilität für die Bedrohtheit des Menschen. Beiden schreibt Peter ein ketzerisches, nicht institutionell einfangbares Element zu und beide haben Bekenntnischarakter in ihrer Frage nach den Fundamenten des Menschseins (2/87). Später wird er noch einmal die Parallele zwischen Seelsorge und Theatermachen betonen, die Pastoral als Kunst erscheinen lässt (1/89), und empfiehlt zu ihrer Förderung Supervision und Gemeindeberatung (5/97) sowie die Bereitschaft, auch das Leiten zu lernen (3/2000).
Schon im ersten Peter-Diakonia-Jahrgang erfahren wir aber auch, dass Seelsorger keine Gurus sein sollen, die andere in Abhängigkeit halten, sondern im guten Fall glaubhafte Menschen, die Ängste ernstnehmen müssen und Vertrauen stiften können (4/87). So ist Macht eines der wiederkehrenden Themen (2/89, 1/2000). Ihrem Missbrauch stellt PFS wieder und wieder Begegnung (1/92, 1/94, 6/94), Beziehung (3/96, 4/98), Dialog (1/2000) gegenüber, zweimal deutlich gemacht am Beispiel der Sexualität, denn hier zeigt sich die Zusammengehörigkeit von Vertrauen, Selbstannahme, Achtung vor dem/der anderen und Lebenslust in besonderer Weise (2/89, 4/96). Dazu befähigt ein Glaube, der nicht absichern will, sondern Leben als Wagnis begreift (2/90). Seelsorge ist dabei die Kunst, entängstigende Erfahrungen zu ermöglichen (5/90), indem sie Menschen in Beziehung bringt (2/98), am besten in Gruppen (4/98). Vielleicht eignen sich die ja auch für Mannsbilder; denn den Mut zum Neuaufbruch, den Peter Männern bereits 1993 wünschte, haben viele noch nicht gefunden (3/93).
Schon ein oberflächlicher Schnelldurchgang durch das Werk Peter F. Schmids, noch dazu durch den kleinen Ausschnitt, der in Diakonia veröffentlicht wurde, zeigt, wie sehr Beziehung das Zentrum seines Denkens und Schreibens ist. Und wenn bei Peter die Kunst, über Seelsorge zu schreiben, viel damit zu tun hat, auf der Höhe des humanwissenschaftlichen Erkenntnisstandes dieses Verständnis von Menschsein als Beziehung zu entfalten, dann ist er aber auch genau hier in reinster Form Theologe. Konsequent bindet er das Personsein des Menschen in dessen Dialog mit Gott zurück, einen Dialog, den Gott begonnen und dadurch den Menschen ins Leben gerufen hat, ein Dialog, eine Beziehung, die Gott selbst ist – trinitarisch nennt das die christliche Theologie. Die Vision von Leben, die daraus entsteht und die am Mensch Jesus Maß nimmt, kennt keine Erhebung übereinander, sondern eben Begegnung, die Gegenüberstehen und Miteinandersein vereint, wie sie Gott selbst in sich vereint. So ist das Leben ein überfließendes Spiel, Seelsorge eine lustvolle Kunst und die einzig wahre Kirche daher pluralistisch-katholisch (3/99).
Schreiben über Seelsorge erfordert also, so möchte ich simpel festhalten, Mensch zu sein, also die Beziehungen und Bezüge des eigenen Lebens ernst zu nehmen und sich über ihre Tiefendimension, die bis ins Wesen Gottes reicht, klar zu werden. Wer das tut, dem wird – wie Peter es uns vorlebt – im Leben nicht fad und dessen Schreibe wird, wenn auch im Manuskript oft zu lang, immer interessant sein.
Von Ehre ist in den Artikeln von PFS – soweit ich es überprüfen konnte – expressis verbis nicht die Rede. (Übrigens auch nicht von dem menschlichen Bedürfnis, dessen Realisierung in der Verwendung des Klopapiers zum Abschluss kommt.) Doch es sind Texte, die Gott die Ehre geben, weil sie sich an ihn/sie herandenken, ohne ihn/sie ganz verstehen zu wollen; und es sind Texte, die den Menschen Ehre erweisen, weil sie voller Wohlwollen von ihnen sprechen und zum Wohlwollen ihnen gegenüber aufrufen. Wenn Ehr-furcht nichts mit Angst zu tun hat, dann hat sie wohl etwas mit dieser ehr-lichen Zuwendung zu tun. So erscheint mir Peters Diakonia-Oeuvre also durchaus der Ehre wert zu sein: der Ehre die zurückkommt, weil sie gegeben wurde.
Ob uns nun im Himmel dereinst auch Diakonia-Artikel blattweise zur gefälligen Verwendung gegeben werden, wage ich nicht zu sagen. Vielleicht weist uns Woody Allens Frage ja auch einfach darauf hin, dass der Versuch, auf Papier etwas zu schaffen, was Ewigkeitswert haben soll, unweigerlich der Lächerlichkeit verfällt. – Sub specie aeternitatis relativiert die Ehre das Schreiben ganz gewaltig.
Mag. Veronika Prüller-Jagenteufl ist katholische Theologin und Chefredakteurin der Internationalen Praktisch-Theologischen Zeitschrift DIAKONIA, bis vor kurzem Mitarbeit am Institut für Pastoraltheologie in Wien, heute in der Erwachsenenbildung tätig.