Artikel Theologie  

Peter F. Schmid

„Puzzling you is the nature of my game”
Von der Faszination und dem Verdrängen des Bösen

© Diakonia 32,2 (2001) 77-83

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Abstract

In Theologie wie Psychotherapie wurde der Allgegenwart und dem bestimmenden Einfluss des Dämonischen ein radikaler Abschied erteilt. Doch dieser korrespondiert nicht mit den Erfahrungen des Alltags und der Geschichte. Und es stellt sich die Frage, ob damit nicht Seelsorge wie Therapie den Menschen im Stich lassen.

Stichwörter

Das Böse in Psychologie/Psychotherapie und Theologie/Seelsorge, Teufel, Dämonen, Selbstentfremdung, Schuld, Hoffnung, Glaube.

In einem der einflussreichsten Songs der Rockgeschichte, „Sympathy for the Devil“, geschrieben von den „Rolling Stones“, gecovert unter anderem von Blood, Sweat and Tears („Symphony for the Devil“), heißt es:

Please allow me to introduce myself, 
I'm a man of wealth and taste. 
I've been around for long, long years 
stolen many a man's soul and faith.

I was around when Jesus Christ 
had His moment of doubt and faith. 
I made damn sure that Pilate 
washed his hands and sealed His fate.

I stuck around St. Petersburg 
when I saw it was time for a change. 
I killed the Tzar and his ministers; 
Anastasia screamed in vain. 
I rode a tank held a gen'ral's rank 
when the blitzkrieg raged and the bodies stank.

I watched with glee while your kings and queens 
fought for ten decades for the gods they made. 
I shouted out "Who killed the Kennedys?" 
When after all it was you and me.

Let me please introduce myself 
I'm a man of wealth and taste 
and I lay traps for troubadors 
who get killed before they reach Bombay.

Just as ev’ry cop is a criminal 
and all the sinners, Saints. 
As heads is tails, just call me Lucifer, 
'cause I'm in need of some restraint.


So if you meet me, have some courtesy, 
have some sympathy and some taste. 
Use all your well learned politesse 
or I'll lay your soul to waste!

(Refrain:) Pleased to meet you, 
hope, you guess my name. 
But what’s confusing you 
is the nature of my game. 
What’s puzzling you 
is the nature of my game.[i]

Der Text zählt schlagwortartig wichtige Phänomene der Erfahrung des Bösen auf. Er benennt nicht nur – in erstaunlich biblischer Fundierung – den Teufel als „Diabolos“[ii], dessen Natur das Spiel der Verwirrung („confuse“) von Anbeginn ist, sondern zeigt auch deutlich die Hilflosigkeit und Ausgeliefertheit des Menschen gegenüber dem Rätsel („puzzle“) des Bösen.

Verführt und dem Bösen ausgeliefert

Im 20. Jahrhundert ist in weiten Bereichen der Theologie und Seelsorge ebenso wie im Mainstream der Psychotherapeutik und Psychotherapie eine interessante parallele Entwicklung zu beobachten: Nachdem anfangs, vom Geist des 19. Jahrhunderts geprägt, die Kräfte des Bösen einen prominenten Stellenwert eingenommen haben, sind sie später stark in den Hintergrund gerückt bzw. auf weite Strecken fast ganz aus dem Blickfeld verschwunden. Ganz Ähnliches lässt sich für andere humanwissenschaftliche und zwischenmenschliche Bereiche konstatieren, man denke etwa an Pädagogik und Erziehung oder Gesellschaftswissenschaften und Politik.

Für das theologische und religiöse Bewusstsein und die Verkündigung, in der Gewissensbildung wie in der Seelsorgerausbildung, in der Frömmigkeit und Liturgie waren das Böse und sein personaler Repräsentant, der Teufel, früher allgegenwärtig. In der Tradition etwa eines Pfarrers von Ars galt es, dem Teufel zu widerstehen; die Visionen der Seherkinder aus Fatima beschäftigten sich eindringlich und nachhaltig mit der Hölle; Christsein hieß vor allem auch, die Welt vor dem Zugriff des Bösen zu retten. Der personal verstandene Teufel samt seinem Höllenreich war unbestrittener Glaubensbestandteil. Christliches Leben und Denken stellte sich de facto als Ausdruck eines durch und durch dualistischen Weltverständnisses heraus, in dem der Satan weitgehend fraglos als der Gegenspieler Gottes im beständigen Weltendrama gesehen wurde.

Freud, Begründer der modernen Psychotherapie, sah im Menschen eine wilde Bestie, die es zu zähmen gilt. Im klassischen Menschen- und Weltbild der Psychoanalyse Freud’scher Provenienz ist der Mensch Austragungsort elementarer innerer und äußerer Kämpfe, sein Verhalten Resultat von tiefen Konflikten: Würde ihm nicht durch beständige und mühsame Kulturarbeit innerer („Über-Ich“) und äußerer

>>Austragungsort elementarer innerer und äußerer Kämpfe<<

(„Realität“) Einhalt geboten, die Triebe des Menschen (sein „Es“), würden ihn veranlassen, die anderen und letztlich sich selbst zugrunde zu richten. In der Vorstellung von Dämonen sah er unsere eigenen „bösen, verworfenen Wünsche“ als „Abkömmlinge abgewiesener verdrängter Triebregungen“ und meinte: „Wir lehnen bloß die Projektion in die äußere Welt ab, welche das Mittelalter mit diesen seelischen Wesen vornahm; wir lassen sie im Innenleben des Kranken, wo sie hausen, entstanden sein.“[iii]

Im Gegensatz zum Christentum, das an einem Endsieg Gottes jedoch niemals zweifelte, war Freuds Weltbild zudem von einem tiefen Pessimismus durchzogen: Letztlich würde der Thanatos, der Todestrieb, den Sieg über den Eros und damit über alles Leben davontragen.

Angesichts zweier Weltkriege und der Gräuel von Nationalsozialismus und kommunistischen Diktaturen ist dieses Bewusstsein der Omnipräsenz des Bösen  auch nicht weiter verwunderlich.

Aufgeklärter Abschied vom Teufel

In der weiteren Entwicklung, durch die theologische Neuorientierung und das veränderte Selbstverständnis der Kirche im II. Vatikanum entscheidend befördert, kam es in der Folge zu einem – im Vergleich zur Jahrtausende alten Tradition – raschen „Abschied vom Teufel“ auf den verschiedensten Ebenen: Dem viel zitierten Buch von Herbert Haag[iv] folgten viele andere und vollzogen eine Abkehr von einem Mythos, den man nicht mehr als Glaubenssubstanz betrachtete. Auch dort, wo die Sinnhaftigkeit des Glaubens an die Existenz eines als Person zu verstehenden Teufels nicht in Abrede gestellt wurde, rückten der Teufel und mit ihm weitgehend auch das Böse aus dem Vordergrund christlicher Aufmerksamkeit und theologischen Reflektierens, wie bei einem Blick in die Neuauflagen diverser Lexika und Handbücher sofort deutlich wird. Aus Verkündigung und Religionspädagogik wurde die „Höllenpredigt“ verbannt. Auch wenn erst jüngst ein neues römisches Exorzismus-Manual aufgelegt wurde: In der Liturgie wurden entsprechende Texte weniger zentral und in der Spiritualität ist das „Widersagen“ eindeutig zugunsten des „Glaubens“ in den Hintergrund getreten. Die Bibel, die trotz verschiedener dualistischer Einflüsse, etwa aus dem Persischen, stets bei seiner eindeutigen Absage an einen prinzipiellen Dualismus geblieben ist und von einem guten Gott und seinem Ebenbild Mensch ausgegangen ist, wurde wieder ernst genommen. Christus, daran besteht kein Zweifel, ist dem „Widersacher“, dem „Vater des Bösen“, der nur der „Fürst dieser Welt“ ist, überlegen. Selbst in der legendenhaften Ausformulierung von Luzifers Höllensturz[v] steht ja am Anfang ein von Gott geschaffener guter Engel, und auch Mephistopheles, die hinter allem Bösen stehende Figur aus Goethes für abendländisches Denken so charakteristischem „Faust“, hat letztlich keine Chance gegen Gott und wird vorgestellt als „eine Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“ (V. 1336f).

Bei allem De-facto-Dualismus hat die traditionelle Dogmatik daran stets festgehalten: „Der Teufel und die anderen Dämonen sind von Gott geschaffen – als von Natur gut, aber sind durch sich selbst

>>von Gott geschaffen, aber durch sich selbst schlecht geworden<<

schlecht geworden“. Im aktuellen römischen Katechismus liest man zudem, sie suchten, „die Menschen in ihren Aufstand gegen Gott hineinzuziehen“.[vi]

Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich auch in den protestantischen Traditionen ab, in denen Luthers Vorstellung von der prinzipiellen „Verderbtheit der menschlichen Natur“ ein wichtige Rolle spielt. So ist auch für Paul Tillich[vii] der Teufel lediglich ein „konkret–poetisches Symbol der Ideen oder Seinsmächte“, das auf die Dialektik des Seins, auf einen ständigen Kampf zwischen aufbauenden und abbauenden Kräften in Persönlichkeit, Gesellschaft und Geschichte verweist.

Das Christentum hat zurückgefunden zu seiner Grundaussage, dass es kein substanziell Böses, kein transzendentes Prinzip des Bösen gibt und bleibt mit Augustinus dabei: „Esse qua esse bonum est“; das Böse ist eine kontingente Größe.

Damit ist aber gleichzeitig die Auseinandersetzung mit dem Bösen in den Hintergrund getreten, und so sehr man die Rückkehr der Verkündigung zur Frohbotschaft und die Abkehr von der Drohbotschaft begrüßen mag, so sehr stellt sich die Frage, ob damit nicht anthropologische und theologische Dimensionen übersehen werden und statt der Überbetonung nun fast eine Verleugnung der Realität des Bösen – wie immer das nun näher zu bestimmen ist, jedenfalls in der Phänomenologie der Erfahrung – Platz gegriffen hat.

Böse oder selbstentfremdet?

Eine ganz ähnlich Entwicklung ist in der Psychotherapie zu beobachten. Um die Mitte des 20. Jahrhunderts hat die Humanistische Psychologie und Psychotherapie nicht nur damit einen Paradigmenwechsel vollzogen, dass sie sich den deterministischen Modellen von klassischer Tiefenpsychologie und Verhaltenstherapie entgegengestellt und die Entscheidungsfreiheit des Menschen betont hat, sondern auch dadurch, dass sie von Gesundheit statt Krankheit, Gelingen statt Misslingen, Möglichkeit statt Defekt ausgegangen ist. Mit der Annahme einer konstruktiven, die Selbstregulierungskräfte steuernden Aktualisierungstendenz wurde der Mensch im Grunde seines Wesen als konstruktiv, auf Entwicklung und individuelle wie soziale Reife hin angelegt verstanden. Dem Konfliktmodell der Tiefenpsychologie wurde ein monokausales Motivationsmodell gegenübergestellt: Die Kräfte der Zerstörung sind nicht gleichursprünglich wie die des Wachstums und des Aufbaus. Psychologisch gesehen ist Destruktion, diesem Verständnis zufolge, eine Schutzmaßnahme, wo das eigene Leben bzw. die eigene Integrität als bedroht erlebt werden und insofern als Selbstentfremdung zu begreifen.

Carl R. Rogers, der Begründer der prominentesten Ausprägung Humanistischer Psychotherapie, des Personzentrierten Ansatzes, geht davon aus, dass beim

>>in allen Menschen ein konstruktiver Kern<<

Vorhandensein entsprechender Bedingungen in allen Menschen ein konstruktiver Kern zum Vorschein kommt und begründet das mit seinen Erfahrungen. In einer berühmt gewordenen Kontroverse hielt ihm Rollo May[viii], ein anderer Vertreter der Humanistischen Psychologie, entgegen, das „Daimonische“ sei ein zentrales Motiv jedes Individuums, sich im Leben zu behaupten, und Ursache dafür, dass wir prinzipiell ein Potenzial sowohl in Richtung Konstruktivität als auch in Richtung Destruktivität besitzen. Rogers bestritt das nicht, betonte aber immer wieder, etwa in einer Auseinandersetzung mit Paul Tillich: „Ein Mensch könnte die Freiheit benutzen, um vollkommen böse oder asozial zu werden. Das stimmt meiner Meinung nach nicht, und das ist eines der Dinge, die mich glauben machen, dass das Individuum [...] in einer Beziehung wirklicher Freiheit sich nicht nur in Richtung auf tieferes Selbst–Verstehen hin bewegt, sondern auch in Richtung auf sozialeres Verhalten.“[ix]

Auch aus der Psychotherapie sind also Vorstellungen von einer vorwiegend –oder zumindest auch – „bösen“ oder prinzipiell destruktiven Natur des Menschen weitgehend verschwunden. Kategorien wie „das Böse“ sind in der aktuellen psychotherapeutischen Diskussion praktisch tabu. Man spricht stattdessen fast ausschließlich von „Krankheit“ und „Fehlentwicklung“. Das resignative Menschenbild Freuds wurde von einer optimistischeren Sicht vom Menschen und der Gesellschaft abgelöst.

In einer (primitiv vereinfachenden, jedoch populären) Variante eines psychologisierenden Zugangs geht es dann sogar nur mehr darum, den Einzelnen aus der individuellen und gesellschaftlichen Entwicklung heraus zu verstehen und Fragen nach dem zugrunde liegenden Menschenbild überhaupt auszuklammern. In den systemisch–konstruktivistischen Ausprägungen von Psychotherapie sind Überlegungen über die Natur des Menschen schon vom Ansatz her obsolet. „Ethik“ wird zeitgeistig vielfach auf moralische Einzeldiskussionen (etwa die Missbrauchsfrage) ohne moralphilosophischen Diskurs beschränkt.[x]

Auch hier stellt sich die Frage, ob damit nicht wesentliche Dimensionen der 

>>Erfahrung von Bedrohtsein und Schuldigwerden <<

Erfahrung und ihrer Interpretation beim Menschen übersehen, ja geradezu verdrängt werden und ob diese Sicht dem Menschen in seiner Erfahrung von Bedrohtsein einerseits und Schuldigwerden andererseits gerecht wird.

Mit dem Phänomen des Bösen konfrontiert

Dass der letzte Ursprung und das Wesen des Bösen im Lauf der Geschichte personalisiert wurden, verweist ja auf die Erfahrung, dass es bei allem Bemühen den Menschen nicht gelungen ist, die Phänomene des Bösen in der Welt auszurotten. Der Mensch mit seinem offenbar nicht immer ganz so freien Willen (wie er es zunächst gerne hätte) erlebt sich nicht nur als Täter, sondern auch als Opfer des Bösen. Das Böse wird nicht nur als eine anthropologische Größe erfahren, sondern es erscheint mächtiger als die Einzelentscheidung des Menschen und geht daher nicht nur zu seinen Lasten.

Diese Erfahrung von der „Außenheit“ des Bösen wird etwa in der Paradiesesgeschichte mit Eva und der Schlange und dann mit Adam verdichtet erzählt (Gen 3). Was liegt angesichts der Erfahrung von Ohnmacht näher, als eine Instanz einzuführen, die dafür verantwortlich ist.

>>Man „braucht“ den Teufel, um nicht selbst schuld zu sein.<<

Man „braucht“ den Teufel geradezu –, will man nicht selbst an allem schuld sein – eine nahe liegende Projektion der Menschen, damit sie nicht allein die Verantwortung für alles Böse in der Welt zu tragen brauchen. Im jüdisch–christlichen, generell im monotheistischen Bereich zudem eingeführt, um der Dämonisierung Gottes eine Absage zu erteilen, war mit der Existenz des Teufels die Frage der Urheberschaft des Bösen einigermaßen geregelt: Damit Gott nicht selbst als Ur-Sache des Bösen gilt, werden entsprechende Aspekte in eine andere, gleichwohl abhängige Figur ausgelagert.[xi]

Werden nun Vorstellungen wie jene vom personalen Teufel und der Hölle als einem Ort der Verdammten als überkommen entmythologisiert, so liegt es ebenfalls nahe, das Kind mit dem Bad auszuschütten und auch den Diskurs über das Böse zu verabschieden. Dabei hat sich allerdings gezeigt, dass weder mit der „Abschaffung“ des Teufels noch damit, dass die Frage nach dem Bösen aus der Aufmerksamkeit gerückt wird, das Problem selbst gelöst ist.

Im Gegenteil. In bisweilen seltsamen Formen meldet sich das Thema zurück: Filme über Besessenheit und Exorzismen oder über den Teufel in vielerlei Gestalt (z. B. „Exorzist“, „Omen“, „Im Auftrag des Teufels“ usw.) erweisen sich als Kassenknüller und erzielen nachhaltige Wirkung, die auch in den Diskussionen Intellektueller auszumachen ist. Auch ohne die

>>Das Thema meldet sich zurück.<<

Figur des Satans selbst bringen Filme wie etwa „Seven“ (der in beklemmender Form das Böse anhand der Sieben Todsünden behandelt) das Thema in eine breite Öffentlichkeit.

Statt des Krampus, der zum Nikolaus-Fest als dessen Begleiter auftrat (und zur Disziplinierung von Kindern ausgiebig missbraucht wurde) wurde binnen kürzester Zeit das aus Amerika kommende, ursprünglich keltische Halloween-Fest mit der Vorstellung, dass die Geister Verstorbener ihr Unwesen treiben, bei Kindern und Erwachsenen beliebt. (Mit der Devise „Süßes, sonst gibt’s Saures“ drohen nun ironischerweise die Kinder den Erwachsenen.) Das Interesse an den „untoten“ Zombies beruht auf ähnlichen Vorstellungen.

Die Faszination, die von „satanischer Rockmusik“ oder „Schwarzen Messen“ und Satanskult vor allem für Jugendliche ausgeht, wird immer wieder medial ausgeschlachtet.

(Gen-)Technik- und Machbarkeitswahn lassen den Menschen schaudernd an Grenzen stoßen oder Möglichkeiten greifbar werden, die er bislang in seinen schlimmsten Alpträumen nicht für möglich gehalten hätte – erneut stellt sich die Frage: Was von dem ist gut und was ist „vom Bösen“? (Die biblische Ätiologie sieht ja unter anderem die Hybris, den Wunsch des Menschen nach endgültiger Erkenntnis und damit, so zu sein wie Gott als den Anfang der Sünde; Gen 3. Mit der Entschlüsselung des Genoms und z. B. der Möglichkeit des Klonens sind wir dem „Erschaffen von Leben“ so nahe gerückt wie nie zuvor.)

Die Darstellung von Gewalt und Hass übt eine nicht übersehbare Faszination aus und ist entsprechend quotenträchtig. Das Thema füllt Talkshows, Theater und Kinosäle.

In der Alltagskultur und (wie immer auch als Anzeiger dafür, was Menschen tatsächlich beschäftigt) in der Kunst ist das Thema des Bösen also präsent wie eh und je.

Hoffnungsperspektive des Christentums

Auch wenn viele mittlerweile überzeugt sind, dass der Teufel weder in der Hölle noch in der Seele wohnt, bleibt die Frage nach den Erfahrungen, die wir als böse, als lebensfeindlich, als unmenschlich interpretieren und nach dem Verhältnis des Menschen zu ihnen. Die Frage nach dem Bösen ist so alt wie etwa die Frage nach dem Leid und seinem Sinn, wie jene nach der Freiheit menschlichen Handelns und Denkens, wie jene nach Schuld und Sünde.

>>letztlich dem Bösen nicht hilflos ausgeliefert <<

Mit all diesen hängt sie auch eng zusammen. Das Christentum liefert darauf keine fertigen Antworten, sondern es bekennt sich zu Hoffnungen: Etwa jener, dass wir glauben dürfen, letztlich dem Bösen nicht hilflos ausgeliefert zu sein.

Wir müssen dabei wohl noch einen weiteren Abschied in Kauf nehmen: jenen von den glatten Antworten. Die genannten uralten Menschheitsfragen lassen sich auch im Licht der Offenbarung nicht so einfach beantworten, dass sich alles „ausgeht“ und wir Klarheit bekommen. Die „Abschaffung“ des Teufel stellt die Frage nach dem rechten Bild von Gott neu, das (in guter biblischer Tradition) auch „dunkle Seiten“ nicht von vornherein ausklammert. Die Frage nach dem Bösen ist auch immer wieder eine Frage nach der Beziehung der Menschen untereinander. Wenn etwa Ratzinger in einer Replik auf Haag den Teufel als Un-Person charakterisiert, als „Anonymität, Zersetzung, Zerfall des Personseins, als Unkenntlichkeit“, so spricht er damit jedenfalls entscheidende Dimensionen dessen an, was heute als das Böse empfunden wird, das Menschen einander anzutun imstande sind.[xii] Schon Sartre hatte in seiner „Geschlossenen Gesellschaft“ konstatiert: „Die Hölle – das sind die anderen.“ Und dennoch bleibt die Frage offen, warum „der gute Mensch“ zu solchen Schrecklichkeiten imstande ist, mit denen wir im Leben wie in den Medienberichten immer wieder konfrontiert werden und bei denen sich die Frage stellt, ob das wirklich aus seinem Herzen kommt oder ob er hier Strukturen, Systemen, Kräften, Mächten ausgeliefert ist, die ihn übersteigen. Und wenn, woher die Strukturen des Bösen kommen oder was sie eigentlich sein sollen.

So wichtig es ist – aus der Perspektive des Glaubens an einen guten Gott ebenso wie aus der Perspektive eines psychotherapeutischen Menschenbildes, dem es um Gesundheit und Gelingen geht – vom Guten zu reden, so wichtig ist es, die Erfahrungen des Bösen, dessen, was sich gegen das Leben richtet und es bedroht, nicht zu übersehen und die Auseinandersetzung damit nicht zu vernachlässigen. Sonst lassen Therapie wie Seelsorge den Menschen gerade in einem entscheidenden Punkt des Selbstverständnisses in Stich.

Das vorliegende und das nächste Heft der DIAKONIA (das sich mit dem Thema Buße, also der Praxis im Umgang mit dem Bösesein, beschäftigen wird) wollen einen Beitrag zur Diskussion und zu Handlungsansätzen in diesen Themenbereichen leisten.

Anmerkungen

[i] M. Jagger / K. Richards, Sympathy for the Devil, in: Best of the Rolling Stones, Volume One, 1963-1973, London  1979, 52-57.

[ii] Das Wort „Teufel“ kommt von „Diabolos“; griech. „dia–bolein“ heißt „durcheinander werfen“.

[iii] GW XIII; London 51967, 317f.

[iv] H. Haag, Abschied vom Teufel. Vom christlichen Umgang mit dem Bösen, Einsiedeln 1969; vgl. ders., Teufelsglaube, Tübingen 1974.

[v] Cf. Lk 10,18; 2 Petr 2,4; Jud 6; äthiop. Henoch 6-16.

[vi] DS 428 (IV. Laterankonzil, 1215); KatKK 414.

[vii] P. Tillich, Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart 1956, 300.

[viii] H. Kirschenbaum/V. Land Henderson  (Hg.), Carl Rogers: Dialogues, Boston 1989, 229–255.

[ix] Paul Tillich und Carl Rogers im Gespräch, in: C. R. Rogers/P. F. Schmid, Person–zentriert. Grundlagen von Theorie und Praxis, Mainz 42000, 257-273, hier 261.

[x] Vgl. zur ethischen Fundierung von Psychotherapie: P. F. Schmid, Was ist personzentriert? Zur Frage von Identität, Integration und Abgrenzung des Paradigmas, in: ders. et al. (Hg.), Identität – Begegnung – Kooperation. Personzentrierte Therapie an der Jahrhundertwende, Köln 2001.

[xi] Vgl. etwa 2 Sam 24,1 versus 1 Chr 21,1.

[xii] J. Ratzinger, Abschied vom Teufel?, in: ders., Dogma und Verkündigung, München, 225-234, hier 224

Autor

Peter F. Schmid, Univ. Doz. HSProf., Mag. Dr. theol., Praktischer Theologe, Pastoralpsychologe, Psychotherapeut und Supervisor in Wien und Graz.

Korrespondenz: A-1120 Wien, Koflergasse 4; E-Mail: pfs@pfs-online.at


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