Artikel Supervision  

Peter F. Schmid & Hermann Spielhofer

Personzentrierte Supervision

Editorial PERSON 2 (2000)

© PERSON 2 (2000) 3f

Stichwörter

Supervision, Personzentrierter Ansatz, Menschenbild

 

Supervision ist in den letzten Jahrzehnten zunehmend zu einer eigenen Profession geworden, die sich nicht mehr allein auf den psychotherapeutischen, pädagogischen oder sozialen Bereich erstreckt, von wo sie ihren Ausgang genommen hat, sondern weit darüber hinaus in Organisationen der Wirtschaft und Verwaltung Tätigkeitsfelder gefunden hat. Sie bildet nicht nur einen wesentlichen Bestandteil der Ausbildung zur Psychotherapeutin bzw. zum Psychotherapeuten sowie die Voraussetzung für eine Reflexion und Weiterentwicklung dieser Tätigkeit,  der Psychotherapie kommt aufgrund ihres historischen Beitrags und der fachlichen Voraussetzungen auch weiterhin ein entscheidender Anteil an dieser Entwicklung der Supervision zu. Wie aus der Arbeit von Korunka, Sauer, Steinhardt und Lueger-Schuster in diesem Heft hervorgeht, haben immerhin zwei Drittel der eingetragenen Supervisoren in Österreich eine Psychotherapieausbildung, was ebenfalls  auf den engen Bezug von Supervision und Psychotherapie hinweist – davon stellt der Person-/Klientenzentrierte Ansatz nach den systemischen Schulen den zweitgrößten Anteil, d.h. jede sechste Supervisorin bzw. jeder sechste Supervisor mit einer abgeschlossenen Psychotherapieausbildung rechnet sich unserem Ansatz zu. Damit stellt sich vor allem die Frage, welche Bedeutung unser Ansatz mit dem ihm zugrunde liegenden Menschenbild und dem methodischen Verständnis im Rahmen der Supervision hat und wie wir uns als Person-/Klientenzentrierte Supervisorinnen und Supervisoren definieren.

Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, wurde von den person-/klientenzentrierten Ausbildungseinrichtungen ÖGwG („Österreichische Gesellschaft für wissenschaftliche, klientenzentrierte Psychotherapie und personorientierte Gesprächsführung) und IPS der APG („Institut für Personzentrierte Studien“) ein Konzept für eine Ausbildung in „Person-/Klientenzentrierter Supervision und Organisationsentwicklung“ erstellt und seit einigen Jahren werden gemeinsam entsprechende Ausbildungsveranstaltungen angeboten (vgl. die Dokumentation in PERSON 2/1997).[1] Außerdem wurde von diesen beiden Organisationen gemeinsam mit dem ÖBVP eine Tagung zum Thema „Veränderungskonzepte in der Supervision“ veranstaltet. Das vorliegende, von Peter F. Schmid und Hermann Spielhofer redigierte Heft geht auf diese Tagung zurück, die im November 1999 im Seminarzentrum „Am Spiegeln“ in Wien stattfand. Die Hauptarbeit der Organisation leistete Helmut Schwanzar, dem an dieser Stelle für seine aufwändige und erfolgreiche Arbeit der herzliche Dank ausgedrückt sei.

Anliegen der Tagung war es laut Ausschreibungstext, „die Veränderungskonzepte zu diskutieren, die den Methoden der Supervision zugrunde liegen. Jede Supervisorin, jeder Supervisor beruft sich“, so hieß es dort, „auf ein reflektiertes Menschenbild, ein Veränderungs- und Entwicklungsmodell und eine Persönlichkeits- und Organisationstheorie. Daraus leitet sie bzw. er Methoden ab, die Veränderungen in Supervisionen ermöglichen. Die Veränderungskonzepte haben zum Großteil ihre Wurzeln in der Psychotherapie, wurden aber vielfach weiterentwickelt und mit Konzepten anderer Disziplinen kombiniert. Das Ziel der Tagung ist, die verschiedenen Konzepte und Methoden explizit zu machen und auf ihre Unterschiede, Gemeinsamkeiten und ihre Vereinbarkeit zu überprüfen.“

Eingeladen waren Vertreter aller psychotherapeutischen Hauptrichtungen sowie Vertreter von Einrichtungen der Managementberatung, der Organisationsentwicklung und Vertreter der Dachverbände sowie Anbieter einschlägiger Ausbildungen. Nach einem Statement des damaligen Bundesministers für Wissenschaft Caspar Einem (der selbst Supervision aus seiner Tätigkeit als Sozialarbeiter kennt) zur „politischen Bedeutung der Supervision“ wurden eine Reihe von Beiträgen von Supervisorinnen und Supervisoren verschiedener Orientierungen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich vorgestellt und angeregt, oft kontrovers diskutiert. Die unterschiedlichen Standpunkte zeigten sich besonders in der Methodenfrage. Hier prallen, vereinfacht ausgedrückt, zwei Meinungen aufeinander: Jene, der zufolge es eine eigenständige, von Schulen unabhängige Methode der Supervision gibt, und jene, die die supervisorische Tätigkeit an eine psychologisch und sozialwissenschaftlich fundierte Orientierung rückgebunden wissen will — eine Diskussion, die sich dann auch in aller Deutlichkeit in berufspolitischen Fragen spiegelt.

Der spezifisch personzentrierte Beitrag zu diesem Thema ist sicher unter anderem die starke Bezugnahme in Theorie und Praxis auf die philosophisch-anthropologischen Grundannahmen, die jedenfalls als Fundament für die Tätigkeit als Supervisorin oder Supervisor dienen, seien sie nun im Einzelnen reflektiert oder nicht. Sie bilden ein pointiertes Gegengewicht zu den technisch-funktionalistischen Konzepten, die sich heute vielfach in der Supervisionsdiskus­sion finden. Mit dem Verständnis des Menschen als Person, auf das sich der Personzentrierte Ansatz beruft und wie er in den meisten Beiträgen dieses Heftes mehr oder weniger explizit zu finden ist, bezieht der Ansatz pointiert Stellung in der aktuellen fachlichen und politischen Diskussion: Ohne Rückbindung an ein humanistisches Menschenbild, an die zugrunde liegenden anthropologischen und erkenntnis­theoretischen Implikationen und ein damit kompatibles Wissenschaftsverständnis kann die Tätigkeit in der Supervision (ebenso wie in Beratung und Psychotherapie) sehr rasch zu sozialtechnischen Maßnahmen und zur unreflektierten Anpassung an inhumane Arbeitsbedingungen und Strukturen führen. Echte Professionalisierung kann nie über die konkreten Personen hinweggehen — was ohne Grundlagendiskurs allzu rasch geschehen kann. Am Menschenbild muss sich auch jede Praxis und Methodik messen lassen und legitimieren. Hier ist in aller Deutlichkeit die ethische Frage an das Selbstverständnis und die Praxis der Supervisorinnen und Supervisoren zu stellen.

Das unhintergehbare Spannungsverhältnis von Person in seiner Einzigartigkeit und Selbstbestimmung einerseits, seiner Beziehungsorientiertheit und sozialen Eingebundenheit andererseits, die Dialektik von Autonomie und Solidarität, von Souveränität und Engagement kann auf der Basis eines Person–zentrierten Menschenbildes nicht zugunsten einer einfachen individualistischen oder kollektivistischen Lösung aufgehoben werden, sondern ist als permanenter und produktiver Prozess konstitutiv für das Verständnis der menschlichen Existenz; als Individuum in der Gesellschaft, als Einzelner im System. Einen der beiden Pole auszublenden — das zeigt gerade die Arbeit in der Supervision — hieße die Wirklichkeit zu verkürzen und dem Menschen in seiner Lebens- und Arbeitswelt nicht gerecht zu werden. Mit einer solchen, von Carl Rogers her genuinen personzentrierten Theorie und Praxis erscheint gerade der Personzentrierte Ansatz jener sozialwissenschaftliche Zugang zu sein, der weder den Menschen zu einem bloßen Funktionär oder Rollenträger verkümmern noch die organisationalen Gesetzmäßigkeiten übersehen lässt. Mit seiner reichen Erfahrung in der Arbeit in Zweierbeziehungen, Kleingruppen, Großgruppen und größeren sozialen Einheiten bietet er theoretisch und praktisch eine zeitgemäße und auch empirisch gut untersuchte Grundlage für die emanzipatorische Arbeit an der Schnittstelle zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft, wie sie die Tätigkeit der Supervision von Arbeitswelt, gleich in welcher Konstellation und in welchem Kontext, darstellt.

Den Zusammenhang zwischen den konkreten Veränderungskonzepten auf der einen und den erkenntnis- und handlungsleitenden Persönlichkeits- und Organisationstheorien auf der anderen Seite deutlich zu machen und die Auseinandersetzung darüber zu suchen, war eines der Anliegen der Tagung. In diesem Heft finden sich Beiträge aus personzentrierter Sicht zu diesem Thema, beginnend mit der bereits erwähnten, verdienstvollen Bestandaufnahme zur Supervision in Österreich über grundsätzliche Beiträge bis zu Artikeln, die sich mit einzelnen Fragestellungen beschäftigen. Sie bieten ein vielfältiges Bild und zeigen die Breite der Diskussion auf.

Die Redaktion hofft, mit diesem Schwerpunktheft einerseits den Praktikerinnen und Praktikern Stoff zur Reflexion ihrer Tätigkeit zu bieten, andererseits weitere fachliche Auseinandersetzungen zu diesem wichtigen Bereich personzentrierter Arbeit anzustoßen.

[1] IPS der APG und ÖGwG arbeiten als einer von nur zwei Anbietern insgesamt mit beiden österreichischen Dachverbänden, dem Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie (ÖBVP) und der Österreichischen Vereinigung für Supervision (ÖVS), zusammen.

bar.jpg - 0,89 K
Artikelübersicht
      PERSON. Die Zeitschrift    
Hauptseite   Zum Seitenanfang