Störungsspezifische Ansätze ?
Ute Binder, Christian Fehringer, Jobst Finke, Peter F. Schmid, Hermann Spielhofer

Subsymposium der PCA
beim Symposium
“Gestaltende und vermittelnde Prozesse. Selbstorganisation in Personzentrierter Beratung und Psychotherapie"
Salzburg, 17.-19. September 2004

Abstracts

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Ute Binder, Frankfurt/M.
Störungsspezifische Verstehensprozesse versus diagnosegeleitete Einstellungen

Der Beitrag vergleicht störungsspezifische Verstehensprozesse, die im Personzentrierten Ansatz zentral mit dem Empathiekonzept verbunden sind mit diagnosegeleiteten Einstellungen und den sich hieraus ergebenden Konsequenzen für therapeutisches Vorgehen. Es wird herausgearbeitet, dass beide Ansätze von der Voraussetzung ausgehen, dass die Beschäftigung mit und Kenntnis über Störungen  -  theoretisch, empirisch gewonnen oder auch erfahrungsbezogen  -  eine notwendige, gewinnbringende professionelle Grundbedingung darstellt. Sie ermöglicht kollegialen Diskurs, Forschung und Erkenntniszuwachs. Dies entspricht dem legitimen Anliegen von Patienten, aufgrund ihres erlebten Leidens bzw. ihrer Störung diagnostizierten Probleme wegen Hilfe bei einem Experten zu suchen. Hierdurch ergeben sich zahlreiche formale Parallelen und vergleichbare Erfahrungen. Anliegen meines Beitrages ist es, die zentralen Unterschiede dieser Blickrichtungen hinsichtlich Beziehung, Menschenbild, Zielsetzung und professioneller Überzeugung  heraus zu arbeiten und deutlich zu machen, dass hier Verschiedenheiten bis hin zu grundsätzlicher Inkompatibilität bestehen.

Christian Fehringer, Wien
Wieviel Störungswissen ist nötig, um personzentriert arbeiten zu können?
Oder: Wann brauche ich welches Wissen für wen und wozu?

Die Idee, theoretische Konstrukte seien in der Praxis direkt anzuwenden und umsetzbar, um "die Sache in den Griff zu kriegen", ist illusorisch. Wo es um die Unberechenbarkeit nichtlinearer, komplexer, doppelt kontingenter Beziehungsdynamik geht, ist hinsichtlich instruktiver Interventionen Bescheidenheit geboten. Wenn klinisches Handeln sich auf technologische Regeln stützt, wird außer acht gelassen, dass es in einer psychosozialen Praxis darum geht, mit lebenden Personen, die einer je eigenen Selbstorganisation unterliegen, zu verhandeln, deren Verhalten als Ergebnis einer inneren Dynamik sich ständig in nicht prognostizierbarer Weise verändern kann. Psychotherapie gehört daher nicht nur der Medizin. Die Themen der Psychotherapie sind zu einem hohen Anteil Themen die in der Philosophie beheimatet sind und auch philosophisch verhandelt werden sollten. Therapeutische Praxis hat eine philosophische Dimension, die, um die medizinische Leitmetapher zu erwähnen, was anderes meint als "Krankheit" zu bekämpfen. Die Ausgliederung von Psychotherapie aus dem medizinischen Kontext kann für  unseren Arbeitsbereich einen enormen Verselbständigungsschub bewirken. Weiters ist die Frage zu diskutieren, ob denn über das "Seelische" in einer naturwissenschaftlichen Fachsprache überhaupt gesprochen werden kann, oder ob über diesen Bereich nur in Form von Metaphern erzählt werden kann.

Jobst Finke, Essen
Beziehung und Technik –
Die polare Struktur von Psychotherapie als Herausforderung für den Personzentrierten Ansatz

Wenn im Personzentrierten Ansatz die Bedeutung der therapeutischen Beziehung betont wird, ist hier meist eine Beziehungsform gemeint, in der der Therapeut als Teilnehmer eines Kommunikationsprozesses fungiert, in dem es um gegenseitige Verständigung geht. Dabei ist zu fragen, ob der Therapeut auch eine Beobachter-Perspektive einnehmen kann und soll, die ihm die Aufgabe des Urteilens und zielgerichteten Behandelns zuweist. Radikalisiert man beide Aspekte, so ließe sich eine strikt beziehungsgeleitete, verständigungsorientierte Position einer strikt technikgeleiteten, zweckrational änderungsorientierten Position gegenüberstellen. Die „störungsspezifische Gesprächspsychotherapie“ will diese Polarität nicht undialektisch auseinander fallen lassen, sondern Psychotherapie als Verschränkung von Beobachter- und Teilnehmer-Perspektive konzipieren. Dabei unterstellt sie ein Wechselverhältnis von Störung und Persönlichkeit und definiert dieses so, dass sich für jede Störung idealtypische Schlüsselthemen beschreiben lassen. Die personzentrierte Bearbeitung der mit diesen Themen erfassten unterschiedlichen Problembereiche setzt ein Oszillieren zwischen unterschiedlichen Perspektiven und Beziehungsangeboten voraus.

Peter F. Schmid, Wien
Kreatives Nicht-Wissen

Zu Diagnose, störungsspezifischem Vorgehen und zum gesellschaftskritischen Anspruch des Personzentrierten Ansatzes

Vertragen sich Diagnosen mit dem Menschenbild und den Grundlagen des Personzentrierten Ansatzes? Ist Störungs–spezifisches Denken und Handeln eine Weiterentwicklung oder eine Wegentwicklung von Person–orientierter Therapie? Wenn ja, worin besteht dann das Charakteristikum des PCA, das ihn unverwechselbar macht und Grund für seine Eigenständigkeit ist? Wenn nein, wie soll der PCA dann in einem Gesundheitssystem und einer Gesellschaft erfolgreich überleben, die solche Forderungen aufstellt – oder sollen wir uns damit begnügen, die Rolle einer kleinen radikalen, aber unbedeutenden Minderheit zu spielen? Diesen und verwandten Fragen soll in Referat und Diskussion grundlegend nachgegangen werden.
Rogers’ Persönlichkeitstheorie erweist sich bei näherem Zusehen als herbe Gesellschaftskritik. Unter anderem wandte er sich gegen die Vorstellung, es seien die Interventionen von ExpertInnen, die die Wirkung von Psychotherapie ausmachen. Impliziert sein Konzept, „dass die wesentlichen Bedingungen der Psychotherapie“ in einer einzigen Konfiguration bestehen, selbst wenn der Klient sie sehr verschiedenartig anzuwenden vermag“ (1957)  tatsächlich, wie seither oft behauptet, die Ablehnung von Störungsdifferenzierung und Diagnose? Oder anders gefragt: Haben wir durch die seither zahlreich entwickelten differenziellen Konzepte wirklich Neues über die KlientInnen und die therapeutische Beziehung dazugelernt?
Aus personaler, dialogischer Sicht sind TherapeutIn und KlientIn nicht nur in Beziehung, sie sind Beziehung. Das bedeutet, dass sie in jeder therapeutischen Beziehung verschieden sind.  Empathieorientierte (im Gegensatz zu interventionsorientierter) Therapie, beruht auf einen erkenntnistheoretischen Paradigmenwechsel, der eine fundamentale Gegenposition zu den traditionellen Vorstellungen von Diagnose und Klassifizierung mit sich bringt: Es ist der Klient bzw. die Klientin, der sein/ihr Leben und die Bedeutung seiner/ihrer Erfahrungen bestimmt und so den Therapeuten bzw. die Therapeutin „in-form-iert“, das heißt in Form bringt zu verstehen. Therapeut bzw. Therapeutin sind nichts weniger als herausgefordert zu riskieren, durch ‚co-experiencing’, ‘co-constructing’ und ‘co-responding’ gemeinsam mit dem Klienten bzw. der Klientin eine einzigartige Beziehung zu erschaffen. Es ist immer die Orthopraxie, die die Orthodoxie herausfordert.

Hermann Spielhofer, Wien
Selbststruktur bei narzisstischen Störungen und Borderline-Persönlichkeiten

Das Selbst als Bild der eigenen Person und ihrer Beziehungen zur Umwelt ist das Resultat der Interaktion des Organismus mit der Umgebung und den dabei ins Spiel kommenden Bewertungen. Bereits in einem früher Stadium, während der Mutter-Kind-Dyade bildet das Kleinkind nicht-verbale, unbewusste Konzepte über sich und seine Beziehung zur Umwelt, gleichsam als Vorläufer eines Selbstkonzepts. Diese vorerst vagen Fragmente erweitern sich bei einer stabilen Fürsorge und einfühlsamen Zuwendung zu Repräsentanzen der eigenen Person und der Beziehungen zu den primären Bezugspersonen und verschmelzen in der Folge zu einem konsistenten Selbstbild.
Wichtig für die Ausbildung eines stabilen Selbst ist die positive Beachtung des kindlichen Erlebens durch die Bezugspersonen, dessen Einbindung in die gemeinsame Kommunikation und Symbolisierung. Erst dadurch wird eine Integration dieses Erlebens in das Selbst möglich sowie eine angemessene Differenzierung des Wahrnehmungs- und Erlebnisfeldes und eine klare Trennung der eigenen Person, des „Mich“ von den Bezugspersonen. Wenn es in dieser frühen Phase zu starken Entbehrungen kommt und das Kind widersprüchlichen verbalen und non-verbalen Botschaften der Erwachsenen ausgesetzt ist, wird die Ausbildung eines stabilen und kohärenten Selbstbildes erschwert und wesentliche Erlebensbereiche bleiben der Selbsterfahrung unzugänglich. Es entsteht eine instabile, fraktionierte Selbststruktur mit einander widerstrebenden Anteilen. Dadurch bleibt die Person frühen Abwehrformen wie Verleugnung, Idealisierung, Abspaltung oder Projektion verhaftet und es kommt zu widersprüchlichen und impulsiven Verhaltensweisen, wie wir es insbesondere bei narzisstischen Störungen und Borderlinestrukturen kennen.

 
© Peter F. Schmid pfs 2004

Workshop "Personzentrierte Aufstellungsarbeit" - Peter F. Schmid, Salzburg Symposium 2004
Symposium Salzburg 2004

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